Critique du livre « Les chemins de fer impériaux d’Alsace-Lorraine » dans la revue « Bahn-Report » (03.2019)

Mit seinen 3.5kg ist es schon quantitativ ein wahrhaft monumentales Werk und es behandelt ein ebenso schwerwiegendes wie spannendes Thema. Die Reichseisenbahnen in Elsass-Lothringen (EL) entstanden nämlich nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870-71 im vom neugegründeten Deutschen Kaiserreich annektierten „Reichsland Elsass-Lothringen“. Die EL unterstanden direkt dem Reichskanzleramt in Berlin und waren nach dem Vorbild der preussischen Eisenbahnen organisiert. 15 Jahre hat der Autor recherchiert und dabei viel Neues zutage gefördert. Wie er im Vorwort erklärt, geht es ihm nicht vordergründig um Streckengeschichte oder Fahrzeuge, sondern um die EL in ihrer administrativen Struktur sowie in ihrer sozialen und ökonomischen Funktion, daneben um die Besonderheiten etwa beim Personen- und Güterverkehr. Zu Letzterem finden sich ausführliche Informationen zu Transportgütern, -mengen und –wegen.

Die 1871 neu entstandene geopolitische Lage belebte den Transitverkehr auf der Nord-Süd-Achse zwischen den Niederlanden und Italien im Zusammenspiel mit den benachbarten Pfälzischen Eisenbahnen auf der linken Rheinseite. Dabei stach man häufig die Konkurrenz auf der badischen und hessischen Seite aus. Das Streckennetz wurde in der „deutschen“ Zeit durch die Erschliessung weiterer Bereiche in den Vogesen, Rheinebene und Lothringer Erzbecken ausgebaut, das Aufkommen beim Personen- wie bei dem Güterverkehr vervielfacht, Bahngebäude mit ansprechenden Architektur errichtet. All dem wird in dem Buch Rechnung getragen; auch, dass Luxuszüge wie der Orient-Express oder der Riviera-Express das EL-Netz ebenso wie Pilgerzüge befuhren, und dass hochgestellte Persönlichkeiten in Sonderzügen ins Land kamen.

Einschlägige Themen wie Uniformen, Eisenbahnvereine und Eisenbahnunfälle komplettieren das aufwändig und bibliophil gestaltete Buch. Dazu tragen bestens wiedergegebene Karten und Werbeplakaten ebenso bei wie Fotografien und Ansichtskarten, die trotz ihrer mehr als hundert Jahre selbst hochvergrössert noch brillant wirken. Die grafisch gestalteten Zugbildungspläne dürften Bahnhistoriker wie Modellbahner interessieren. Da die Existenz der EL von zwei Kriegen bedingt war, und weil die Eisenbahnen im Bereich von Elsass und Lothringen in selbigen eine grosse Rolle spielten, sind auch den beiden Konflikten eigene Kapitel gewidmet.

Die 47 Jahre des Reichslandes Elsass-Lothringen werden in Frankreich traditionell kritisch gesehen. Auch dieser Tatsache stellt sich der Autor mit seinem Buch. So thematisiert er die komplizierten deutsch-französischen Beziehungen, aber auch das oft problematische Verhältnis der nach 1871 ins Land gekommenen „altdeutschen“ Eisenbahnbeamten zur lokalen Bevölkerung. In gleichem Masse wie die „Altdeutschen“ nach 1918 vertrieben wurden, verbannte man damals alles mit ihnen Zusammenhängende aus dem Bewusstsein der Elsässer und Lothringer. Mit der fundierten Betrachtung der Bahnverhältnisse wirbt das vorliegende Buch auch für eine Neubewertung jener Zeit in Frankreich.

Bewertung: *** (unbeschränkte Empfehlung)

Jochen Glatt,
Bahn Report (03.2019)